Ante Scriptum: endlich ein neuer Post nach sehr viel Zeit. Na und? Ich schreibe nur wenn ich 'was zu sagen habe. Also nicht so oft.
Die Periferie ist ein
Seelischer Ort. Wo habe ich den Satz gelesen? Weiss ich nicht mehr.
Ob das was ich verdient habe ist: Eine kleine Wohnung (aber mit
Terrasse) in der Periferie in Roma Est (Pigneto) eine kleine Rente
aus ein Paar vermieteten Wohnungen in Ost-Berlin (Friedrichshain).
Besser als jeden Tag mit bloeden Touris zu arbeiten, wahrscheinlich.
Obwohl, es gibt auch einige Sachen die ich vermisse aus meiner Zeit
als Friendly Innkeeper beim Bed and Breakfast Tasso. Meine
Naschkatzentours zu fuehren, zum Beispiel. Manchmal hatte ich auch
interessante Debatten zwischen Ossis und Wessis auf meiner Terrasse
beherbergt. Die Ossis meinten: “Haetten wir die Reisefreiheit
gehabt, dann waere es ein optimales System gewesen. Als man nach der
Arbeit nach Hause kam, dann hat man gerne den Nachbarn geholfen.
Diese stressige Kompetition zwischen die Menschen, die war unbekannt.
“ Und die Wessis: “Naja, das koennte sowieso nicht dauern. Die
Leute machten so, als ob die arbeiten wuerden, und der Staat machte
so, als ob es dafuer ein Lohn gaebe. Man war vielleicht nicht
neidisch und unzufrieden, aber nur weil alle genau so arm waren.
Dann habt Ihr bei der Glotze gesehen, wie man im Westen lebte, und
habt das auch gewollt. Ohne zu verstehen, dass TV-Werbung eine Luege
ist.” Ja, ich vermisse meine Gaeste, besonders die Deutschen. Ich
bin ja schliesslich bekanntlicherweise Krautfresserfreundlich.
Genau deswegen bin ich auf der Idee gekommen, Rom mit Berlin zu
vergleichen. Und im Detail, auf die Frage, ob der Ostteil von Rom mit
dem Ostteil von Berlin vergleichbar ist, und also als arm aber sexy
zu bezeichnen ist. Also, arm ist es auf jeden Fall, keine Frage.
Man sollte wissen, nach dem Krieg (ungefaehr bis 1950) hatte Rom eine
Million Einwohner. 30 Jahre spaeter, am Ende der Siebziger/Anfang
Achtziger, waren es 3 Millionen. Also in 30 Jahren hat sich die
Bevolkerung verdreifacht. Und die Periferie ist explodiert,
besonders bei Rom Sued (Tuscolana) und Ost (Tiburtina). Man hat hier
viel und schnell gebaut, so sind jede Menge billige und meistens
geschmachslose Gebauden entstanden, die manchmal genauso aussehen wie
die Plattenbauten in der DDR. Die grosse Einwanderung aus
Sueditalien (insbesonders aus Kalabrien) hat dann eine typische
Bauart mitgebracht: illegal, ohne Baugenehmigung. Zwei Drittel von
Roms periferischen Gebauden sind auf dieser Weise entstanden. Kein
Wunder dass keine urbanistische Qualitaet dort zu spueren ist. Dabei
muess man auch sagen, eine Baugenehmigung in Rom zu beantragen ist
eine ziemlich haarige Sache, lang und extrem kompliziert. Die
Bauverordnung in Rom ist so gross wie ein Telefonbuch, dagegen die
Bauverordnung in Muenchen ist nur 2 Seiten (so habe ich auf jeden
Fall einmal in einer TV-Reportage gesehen). Das ist auch irgendwie
typisch fuer Italien: die Gesetzen werden nicht respektiert auch weil
die viel zu kompliziert sind, deswegen sucht man oft einen Ausweg .
Das koennte auch die Rede dazu fuehren, dass die Sueditaliener sich
mit dem Italienischen Staat noch nicht voellig identifizieren, obwohl
150 Jahren seit der Vereinigung (Uebernahme, Invasion von der
Norditaliener koennte man das auch nennen) schon vergangen sind. Und
man sollte auch wissen, der Koenigreich von Neapel und Sizilien
damals (bis 1870) einer der reichsten europeischen Staaten war, mit
vielen erfolgreichen Industrien, die danach alle in Richtung
Norditalien verschieben worden sind. Das erklaert auch warum
Norditalien viel reicher als Sueditalien ist, und warum die Mafia
gerade in Sueditalien entstanden ist. Aber eine solche Rede wuerde
uns zu weit weg fuehren, deswegen lieber zurueck zum Hauptthema: Ob
das ostliche Teil von Rom nicht nur arm sondern auch sexy ist. Fuer
die Touris nur das Historische Zentrum ist Rom. Und es ist sogar
schwer das alles kennenzulernen, weil das riesig ist, 50
Quadratkilometer, vom Termini nach Sankt Peter und von Villa Borghese
nach Piramide, oder besser gesagt alles was innerhalb der
Aurelianischen Mauer steht. Obwohl, eigentlich gibt es viele
wichtige und historische Sachen auch ausserhalb, nur um ein Paar zu
nennen Ostia Antica und Tivoli. Ist ja wenig bekannt, aber mit
seinen stolzen 1200 Kuadratkilometer ist Rom die groesste Gemeinde in
Europa, auf jeden Fall in Kontinental Europa, denn London ist ja
groesser, aber ob London in Europa liegt, das ist ja eine offene
Frage. Die meisten Roemer koennen natuerlich sich nicht leisten im
Zentrum zu leben, wo die Immobilienpreisen in die besten Lagen leicht
die 10.000 Euro pro Quadratmeter erreichen koennen. So die verteilen
sich in den anderen 1150 Quadratkilometer. Und deiner Wohnviertel
definiert Dich in vieler Hinsichten. Wenn Du reich und
rechtsorientiert bist dann lebste am liebsten in Parioli, Flaminio,
Trieste oder Balduina. Wenn Du reich aber linksorientiert bist (oh
yeh das gibt's auch) dann wohnst Du am liebsten in Monteverde
Vecchio. Prati ist fuer die yuppies, meistens Rechtsanwaelte und
Notaren. Alle anderen Viertel sind weniger definiert, aber Roma Nord
ist auf jeden Fall viel reicher als Roma Sud. Und Roma Est ist am
armsten. Zwischen die Nomentana und Ostiense lebt die working
class, aber auch viele Studenten, and natuerlich viele arme
Migranten. Nun, Ostiense, San Lorenzo und Pigneto sind sowieso
trendy Gegenden, das ist wo die Roemische Movida lebt, mit vielen
Pubs voll von Studenten. Eine Sache ist mir aber nicht klar, warum
Bier, dass sowieso das allerliebste Getraenk ist, viel teurer als in
Deutschland sein muss. Stimmt auch, dass die italienischen
Kleinproduzenten (Birra Artigianale, oder Craft Beer) qualitativ sehr
hochwertig sind, besser als die ueblichen deutschen Bierproduzenten.
Ich weiss, das werdet Ihr Krautenfresser nie zugeben, aber so isses.
Man muesste die mehr als 100 Biersorten beim Open Baladin
(http://www.openbaladinroma.it/)
probieren um das bestaetigen zu koennen. Dieser Pub ist aber nicht
auf einer Hauptstrasse, die meisten Touris werden das also nie
entdecken. Wo sollte man also hingehen, um zu begreifen dass Roma Est
nicht nur arm sondern auch sexy sein kann? Die Fussgangerzone am
Anfang von Via del Pigneto ist eine gute Gegend. Dort kann man sehr
viele pubs und Winebar finden, und viele restauranten auch, darunter
Primo Al Pigneto,(http://www.primoalpigneto.it/)
dass ziemlich gut ist. Necci ( http://www.necci1924.com/?lang=en)
ist ein Bar der von Pier Paolo Pasolini damals in den 60-er Jahren
oft besucht war, und nach der Renovierung ist eine sehr trendy
Adresse geworden. Eine gute Adresse ist auch das Lanificio Pietralata
(http://www.lanificio.com/index.php/it/),
eine ehemalige Fabrik, die ein Beispiel von industrielle Archeologie
– aber voellig renoviert - ist, also sehr shabby-chic. Die Kellner
dort sind sehr jung und auch nicht besonders effizient, letzes Mal
habe ich 20 minuten gewartet um eine Crepe zu bekommen, aber die sind
alle sehr trendy, wahrscheinlich sind die alle Wannabies, also
Schauspieler oder Kuenstler die momentan als Kellner arbeiten. Und
dann gibt es das Forte Prenestino (http://www.forteprenestino.net/),
ein ehemaliger Militaerburg, dass von junge alternative Leute besetz
worden ist, und wo viele Konzerte und Kulturtaetigkeiten stattfinden.
Aehnlich alternativ aber mehr auf elektronische Musik spezialisiert
ist das Brancaleone ((http://www.brancaleone.it/),
wo oft bekannte DJ aus Berlin spielen. Beim Circolo Degli Artisti(http://www.circoloartistiroma.it/)
gibt es fast jeden Abend interessante Konzerte. Auch die Rampa
Prenestina ((https://rampaprenestina.wordpress.com/)
ist sehr interessant, dort gibt es viele Kunstaustellungen und
Kunstlerische Aktionen zu sehen. Als letzes wuerde ich mein
Viertelverein nennen, nicht nur weil ich dabei selber taetig bin,
aber weil es ein Versuch ist, die Periferie mit Kunst und Kultur
etwas lebendiger und schoener zu machen:
http://www.alicenelpaesedellamarranella.it/
Post-Scriptum: ich hatte eigentlich die Marion gefragt, ob sie den Text revidieren koennte. Die hat gesagt: "Naja, die Fehler dabei sind so sexy-roemisch..." Oh ye, das ist so 'ne Sache... ich werde wohl nie deutsch lernen...